Sapere aude!

Was in der EKHN jetzt nottut

Leserbrief in der Evangelischen Sonntags-Zeitung am 14. November 2020

Ungekürzte Fassung

Angesichts des sich auch in unserer Landeskirche dramatisch verstärkenden Mitgliederrückgangs fordert Wolfgang Weissgerber in seinem Artikel „Es ist nie zu spät“ (Evangelische Sonntags-Zeitung, Nr. 44 vom 1.11.2020), dass in der evangelischen Kirche etwas geschehen muss – und zwar schnell. Nachdem vonseiten der Kirchenleitung lange Zeit die Abwärtsentwicklung in erster Linie mit dem demographischen Wandel erklärt wurde, ist dies spätestens seit der Freiburger Mitgliedschaftsstudie nicht mehr möglich. Unser Problem ist die immer mehr nachlassende Kirchenbindung vor allem der jüngeren Generation, was sich in der Zunahme der Kirchenaustritte niederschlägt.

Im Blick auf die schwindende Finanzkraft der Kirchen plädiert Weissgerber im Anschluss an Katrin Göring-Eckardt zu Recht für Zusammenschlüsse der zur Zeit bestehenden 20 Landeskirchen, die die Zahl der Bundesländer übertrifft. Soll dies aber zu wirklichen Einsparungen führen, ist es notwendig, dass nicht nur die Stelle eines Kirchenpräsidenten oder Bischofs wegfällt, sondern auch im nennenswerten Maß Stellen von Oberkirchenräten/-innen, Kirchenräten/-innen, persönlichen Referenten/-innen und weiterem Personal in der Kirchenverwaltung abgebaut werden.

Entsprechendes gilt für die Zusammenschlüsse von Zentren der verschiedenen kirchlichen Handlungsfelder. Es kann nicht sein, wie es in der Vergangenheit geschehen ist, dass lediglich die zuvor in der EKKW und der EKHN existierenden Stellen zusammengeführt werden. Überhaupt wird es sich unsere Kirche nicht mehr leisten dürfen, dass eine Vielzahl von Pfarrerinnen und Pfarrern im Überbau der Kirchenverwaltung und der Zentren der kirchlichen Arbeit an der Basis entzogen wird, was protestantischem Kirchenverständnis widerspricht. Angesichts der bereits begonnenen Pensionierungswelle der geburtenstarken Generation wäre dies unverantwortlich, zumal selbst die immer weiter zusammengestrichenen Gemeindepfarrstellen nicht mehr alle durch den theologischen Nachwuchs besetzt werden können.

Weiterhin ist es nicht mehr vertretbar, dass die EKHN in ihren Zentren vielfach das abbildet, was im Bereich der Universitäten und Hochschulen erforscht und gelehrt wird. Zur besseren Vernetzung von praktischer Ausbildung der Vikarinnen und Vikare sowie der Pfarrer/-innenfortbildung könnten die Lehrenden im Theologischen Seminar Herborn für letztere eingesetzt werden, was weitere Stellen einspart.

Ein weiteres Einsparpotential sehe ich darin, dass sämtliche Pfarrerinnen und Pfarrer in der EKHN das gleiche Gehalt erhalten sollten, unabhängig von ihrer Stelle (angefangen von den Dekanen, über die Kirchenräte und Oberkirchenräte, bis hin zum Kirchenpräsidenten). Verfügen doch die betreffenden über keine höhere Qualifikation als die anderen. Dies wäre ein deutliches Zeichen nach außen für eine Kirche, die sich als Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern versteht, in der gemäß der Barmer Theologischen Erklärung (4. These) es „keine Herrschaft der einen über die anderen“ gibt, sondern die verschiedenen Ämter den „der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienst“ ausüben. Entscheidet sich doch die Zukunft unserer Kirche an ihrer Glaubwürdigkeit, daran also, ob sie das ihr anvertraute Evangelium mit Herz und Verstand lebt.

Pfr. Prof. Dr. Werner Zager, Worms